In der vergangenen Woche erschien Ubisoft’s langerwartetes „Skull & Bones“. Das Spiel und die Ereignisse drum rum zeigen eindrucksvoll was in der Unterhaltungssoftware-Industrie seit Jahren falsch läuft. Ein Kommentar von Mitch van Hayden.
Das Piraten-Spiel „Skull & Bones“ ist endlich da und es macht in Teilen sogar Spaß. Das muss man heutzutage ja schon hervorheben, wenn einer der großen Publisher mal wieder ein Major-Release auf den Markt wirft. Das Problem mit Skull & Bones ist aber, dass es nicht das angekündigte Piraten-Epos geworden ist, sondern vielmehr ein durchschnittlicher Loot-Shooter. Es fühlt sich an, als hätte Ubisoft seinem „The Division“ ein Piratenkostüm angezogen, einige Roleplay-Elemente dazu gepackt, damit ein Hauch von Story vorhanden ist, und den inzwischen üblichen Store natürlich auch nicht vergessen. Letzterer natürlich im Sinne eines „Service-Games“. Skull & Bones hat bei der internationalen Presse Wertungen zwischen 40 und 65 Prozent erreicht, was einer sehr mageren Review-Performance entspricht. Und leider muss ich sagen „zu Recht“!
AAAAm AAAArsch
Ubisoft-CEO „Yves Guillemot“ tätigte dagegen auf einer Investorenkonferenz die Aussage: „Skull & Bones sei das erste AAAA (in Worten: Quadruple-A) Spiel der Welt!“. Damit verteidigte er den recht hohen Preis von 60 bis 100 Euro (je nach Edition und Plattform) angesichts der Vorwürfe, dass „Skull & Bones“ sich eher wie ein Free2Play-Titel anfühle.
Fakt ist: Bei der Produktion des Spiels ist vieles schief gelaufen. Unter der Führung von Ubisoft Singapur sollte dessen erstes AAA-Spiel entstehen. Das Studio aus Singapur hatte bisher gute Arbeit geleistet indem sie andere Ubisoft-Studios zugearbeitet hatten, aber noch nie selbst die Verantwortung für einen Titel übernommen. Die Aufgabe, einen AAA-Multiplayer-Ableger von „Assassin’s Creed IV: Black Flag“ zu erschaffen, erwies sich in mehrerlei Hinsicht als fatal. Zehn Jahre, 200 Millionen Dollar und mehrere Lead-Manager später bekommen wir zum Vollpreis ein technisch veraltetes und spielerisch mäßiges Game zum Vollpreis vor die Nase gesetzt.
Bei Entwicklungskosten von 200 Millionen Dollar kann es sich der französische Publisher einfach nicht erlauben das Spiel direkt als Free2Play zu veröffentlichen. Ubisoft ist seit geraumer Zeit schon angeschlagen und Übernahmegerüchte stehen immer wieder im Raum. Böse Zungen behaupten Tencent und Microsoft stehen bereits in Lauerstellung!
Bug-Count nicht wesentlich höher
Electronic Arts legte 2021 mit „Battlefield 2042“ eine gewaltige Bauchlandung hin. Das mangelhafte Spiel wurde zunächst gegenüber der enttäuschten Community von den tapferen EA-Managern bis aufs Mark verteidigt. „Die Erwartung der Spieler sei brutal hoch.“ war da beispielsweise zu hören. Aus einer Sitzung des Management wurde die Aussage bekannt, dass man sich den Misserfolg nicht erklären könne, schließlich sei der „Bug-Count“ nicht wesentlich höher als bei vorherigen Battlefield-Releases.
In den folgenden Monaten kamen dann aber immer mehr Insider-Infos ans Tageslicht. Nach dem Release von „Battlefield V“ in 2018 hatten viele alteingesessene Entwickler dem Lead-Studio EA-DICE den Rücken gekehrt (einige gründeten Embark Studios, Entwickler von „The Finals“). Man holte neue Mitarbeiter: jung, unverbraucht, unerfahren, billig! An der Aufgabe die hauseigene Frostbite-Engine zu aktualisieren scheiterten schon die ersten. Statt den geplanten drei Monaten für das Engine-Update gingen über 15 Monate drauf. Die restlichen Mitarbeiter waren nicht weniger mit ihren Aufgaben überfordert, denn wöchentlich gab es neue Vorgaben vom Mutterkonzern wie „Battlefield 2042“ auszusehen habe und es gab keinen Entwickler, keinen Manager und vor Allem keinen alten Hasen der dem widersprochen hätte.
„Battlefield 2042“ kam somit in einem technisch desolaten Zustand, mit einem schier lächerlichem Content-Umfang und einem noch lächerlicheren Gamedesign auf den Markt. EA ist bis heute bemüht den Schaden zu beheben. Fast alle Maps haben in den letzten Jahren eine Generalüberholung erfahren. Neue Maps wurden hinzugefügt und erstmals in der Geschichte von Battlefield erfuhr die Engine quasi im laufenden Betrieb ein Major-Update.
Doch der größte Knackpunkt zum Release war die Entscheidung bei „Battlefield 2042“ den Schwerpunkt komplett vom klassischen Gameplay zu verlagern. Statt sich auf die Stärken des Franchise zu verlassen, baute man Battlefield von einem Klassen-basierten Team-Shooter zu einem Hero-Extraction-Shooter um. In einer fiktiven Zukunft sollte ein Weltkrieg um die Ressourcen der Erde geführt werden, doch EA machte daraus einen Klicki-Bunti-Fortnite-Abklatsch der statt einer dem Setting entsprechenden dystopischen Stimmung eher an einem Nachmittag im Kinderzirkus erinnerte.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Aus Sicht von uns Gamern ist es richtig traurig, dass „Skull & Bones“ und „Battlefield 2042“ keine Einzelfälle sind. Atari mit „RollerCoaster Tycoon World“, Blizzard mit „Diablo IV“, Bethesda mit „Starfield“ uvm.; immer wieder verstricken sich große Publisher in eine Verkettung von Fehlentscheidungen und setzen, getrieben von Gier und Inkompetenz, große Marken gnadenlos vor die Wand.
Die Manager beurteilen die Games nicht mehr nach ihrer Qualität. Eine möglichst günstige und schnelle Entwicklung steht hier im Vordergrund. Spiele kommen mit einer vertretbaren Anzahl von Bugs und dem nötigsten Content auf dem Markt. Ein ausgeklügeltes Marketing erledigt dann den Rest. Ein Spiel muss sich durch Vorbestellungen und den Verkäufen in den ersten Tagen nach Release bezahlt machen. Danach kann man immer noch entscheiden, ob man am Spiel weiterarbeiten lässt oder die Einnahmen einfach nur mitnimmt und das Projekt einstampft. Dem Management sind inzwischen Ingame-Shops wichtiger als qualitativ hochwertige Produkte. Das kann man den Investoren schmackhaft machen, denn die haben in der Regel noch nie etwas mit Gaming zu tun gehabt. Und leider muss ich sagen, die meisten Gaming-Manager auch nicht. Da kann man in den Chef-Etagen noch so viele Excel-Heros haben. Tabellen hin und herschieben ist eben kein Skill der gute Games produziert.
4 gute A-Spiele sind besser als ein schlechtes AAAA-Game
Was fehlt ist offensichtlich: Mut und den Kontakt zur Basis! Kleine Indie-Studios überraschen weit häufiger mit innovativen Konzepten. Während man in großen Häusern immer öfter versucht sich panisch dem Markt anzupassen, überzeugen Spiele wie „Valheim“, „Fall Guys“, „Palworld“ oder aktuell „Helldivers 2“.
Klar, die Fallhöhe ist für die kleinen Studios vielleicht nicht so kritisch wie bei einem Millionen Dollar AAA-Titel. Doch vergessen die großen Publisher oft, dass die kleinen Häuser heute nicht mehr auf sie angewiesen sind. Ich brauche inzwischen keinen Publisher um mein Spiel an den Mann zu kriegen. Somit fehlen solche kleinen Titel fast komplett bei den etablierten großen Häusern, womit diesen auch weniger oft Überraschungshits beschert werden. Mal ganz davon abgesehen, dass A- oder AA-Games bei einem großen Publisher auch für genug Umsatz sorgen könnten, um den Landen am Laufen zu halten um somit den Puffer zu schaffen, sich Zeit und Geld für die großen Titel zu nehmen.
Wir sind (mit) schuld!
Zu guter Letzt fehlt in diesem Artikel aber noch eine wichtig Feststellung: Wenn wir Gamer den ganzen Zirkus nicht mitmachen, würden wir auch nicht so oft Scheiße zu fressen kriegen! Wir lassen uns vom Marketing einlullen und bestellen nahezu blind vor. Wir zucken nicht zurück, wenn man uns in einem Vollpreisspiel einen Shop mit Lootboxen vor die Nase setzt. Die jüngeren Gamer und die Casual-Gamer sind besonders von der Industrie konditioniert, einfach alles so zu nehmen wie es kommt. Einige ältere Core-Gamer hinterfragen noch hier und da, doch am Ende sind wir alle gleich: Wir wollen dieses eine neue Game zocken, auch wenn es uns im Nachhinein enttäuscht.
Dabei hat sich der Gaming-Markt verändert und auch wir als Zielgruppe sind anders als es noch vor zehn oder zwanzig Jahren der Fall war. Heute muss alles leicht zugänglich sein. Nichts darf den 08/15-Gamer überfordern, denn die Casuals sind diejenigen, die am meisten Geld in den Shops lassen. Der Core-Gamer erspielt sich die meisten Dinge, während der Casual-Familienmensch, der in der Woche Abends mal zwei Stunden Zeit zum Zocken hat, auch bereit ist für des neuste geile Item im Shop 25 Euro auf die Theke zu legen. Wer die Kapelle bezahlt, dessen Musik spielt sie auch und daher wundert es nicht, dass bei den großen Publishern die Spiele immer arcadiger werden. Hinzu kommen dann Manager, die panisch versuchen jedem Trend hinterher zu jagen. Da wird sich dann in laufende Entwicklungen eingemischt, um aus einem Team-Shooter ein Battle-Royale zu machen. Wenn solche Vorgaben aus den Chefetagen kommen wundert es nicht, dass es in den letzten Jahren immer mehr Spiele auf den Markt geschafft haben bei denen man sich fragt: „WTF? Wer ist auf die Idee gekommen, dass dieser Genre-Mix in dieser Form Spaß machen soll?“.
AAAA kommt, aber nicht heute
Um den Bogen zum Anfang zu schlagen. Ich habe Spaß in „Skull & Bones“. Aber ich habe auch nicht den vollen Preis gezahlt, denn sonst würde ich wahrscheinlich auch zu denen zählen, die sich angesichts Yves Guillemot’s Quarduple-AAAA Aussage mächtig verarscht vorkommen. Ein fairer Preis für „Skull & Bones“ wäre 30 Euro und ich denke, dass es nicht lange dauern wird bis wir diesen Kurs erreicht haben. Vielleicht geht es auch ganz schnell und in einem Dreivierteljahr geht das Spiel in die Free2Play Phase über.
Das erste AAAA-Spiel dagegen wird meiner Meinung nach wohl Star Citizen werden, wenn es die Entwickler schaffen dem ganzen Schwall an Innovationen, der dort bereits jetzt schon drin steckt, eine gescheite Portion Gameplay und Content zu verpassen. Warten wir’s ab.
Ach ja, nur für’s Protokoll: Chris Roberts sprach mit seiner Idee zu „Star Citizen“ damals bei fast allen großen Publishern vor und bekam überall eine Absage. Das Crowdfunding für „Star Citizen“ beträgt heute zum Zeitpunkt dieses Artikels 666 Millionen Dollar und Roberts Firma „Cloud Imperium Games“ ist streng genommen ein Indie-Entwickler. Darüber sollte man mal bei Ubisoft, EA, Activision und Co nachdenken. 😉